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Irene Fastner
Arbeiten 2010–2012
2012
Irene Fastner
Brot und Rosen
2009
Irene Fastner
Arbeiten 2002–2004
2004
Irene Fastner
Otto-Galerie
1992

Texte

Katja Sebald, 2021: Es ist ein Kreuz mit der Malerei
Irene Fastner in der Galerie 13

von Katja Sebald

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Jedes der Bilder von Irene Fastner beruht auf einer wahren Begebenheit. Der Tomatenmann und auch das Mystery Girl waren da. Der Hund mit den hellblauen Schuhen spazierte wirklich neben seinem exaltierten Frauchen durchs Münchner Westend. Die Verkäuferin des ledernen Sitzmöbels in Form eines Nashorns ist ebensowenig eine Erfindung wie die Kubanerin mit der dicken Zigarre zwischen den rotgeschminkten Lippen. Sie und noch viele andere führen ein gemütliches Leben im Reich des Unbewussten und der vagen Erinnerungen – bis sie sich eines Tages entschließen, in einem der Bilder von Irene Fastner aufzutauchen. Niemand wundert sich darüber so sehr wie die Künstlerin selbst.

Irene Fastner, 1963 in Zwiesel geboren, ist eine virtuose Malerin. Sie studierte ab 1988 an der Akademie der Bildenden Künste in München bei Helmut Sturm, dessen Meisterschülerin sie auch war. Ihre künstlerische Praxis basiert auf einer gründlichen Auseinandersetzung mit der Malerei und ihren Techniken wie auch auf einer profunden Kenntnis der Kunstgeschichte und den Strömungen des 20. Jahrhunderts. Es wäre deshalb völlig verfehlt, das freundlich großäugige Personal ihrer Bilder als „naiv“ zu interpretieren.

Nicht nur die starken Farben, sondern auch die Steigerung des Ausdrucks mittels Überzeichnung und gleichzeitiger Vereinfachung der Form verbindet Irene Fastner mit dem Expressionismus der Künstlergruppe „Die Brücke“. Eine direkte Linie zu Gabriele Münter gibt es bei der Hinterglasmalerei, die ebenfalls von der Volkskunst angeregt wurde. Collagierte Bildelemente als Mittel zur Realitätsbefragung verweisen auf Picasso und Braque. Die Lust an der Farbe, der ebenso großzügige wie feinfühlige Gestus und die komplexe Struktur der Malerei lassen natürlich auch an Helmut Sturm denken. Ein wundersam-hintersinniger Humor aber ist das Alleinstellungsmerkmal von Irene Fastner.

Ihre Kindheit verbrachte Irene Fastner auf dem Land in Niederbayern. Der Vater sammelte Volkskunst, Bauernschränke, Madonnen und Heiligenbilder. Der gekreuzigte Herrgott, der von Pfeilen durchbohrte Sebastian und die geräderte Katharina suchten sie in nächtlichen Alpträumen heim. Erst als Jugendliche schaffte sie es endlich, die Märtyrer aus ihrem Zimmer zu verbannen, um für den Bravo-Starschnitt Platz zu machen. Aber welche Überraschung, als die Heiligen viele Jahre später – längst studierte sie in München – energisch Einlass in ihre Bildwelten begehrten.

Die Künstlerin nahm die Herausforderung an: Sie griff zwar die in der Volkskunst tradierte Technik der Hinterglasmalerei auf, ließ jedoch ihr eigenes Bildpersonal auftreten. Sie ergänzte Aureolen durch Punkfrisuren. Sie tröstete die gequälten Seelen mit einer Bikinischönheit vor Goldgrund und gab ihnen Dollarscheine oder archaische Masken wie Heiligenattribute in die Hand. Der Gegenzauber scheint bestens gewirkt zu haben, denn mittlerweile lassen sich nur noch höchst selten finstere Schreckgestalten in den Bildern von Irene Fastner blicken. Und schaut doch einmal Gevatter Tod um die Ecke, dann stellt ihm die Malerin schnell eine schöne junge Frau zur Seite, die ihm beim „Deifedanz“ den Kopf verdreht.

Es sind zunächst Stimmungen oder einfach nur Farbklänge, die Irene Fastner als Anlass für ein Bild dienen. Zu Beginn geht es um das rein Malerische, tiefgründig und subtil die Ölfarben auf der Leinwand und leuchtend in starken Kontrasten die Acrylfarben auf Holz. Während des Arbeitsprozesses aber entwickelt sich ein spannendes Wechselspiel aus dem gestalterischen Impuls und dem, „was aus dem Unterbewusstsein kommt“, wie die Künstlerin sagt. Alltagsbeobachtungen, Reiseeindrücke und Erinnerungsschnipsel drängen schließlich als Figuren ins Bild. Erstaunlich sei dabei immer wieder, dass völlig Unvorhergesehenes passiert. Bilder können ihre Richtung ändern, sich drehen und einen neuen Weg einschlagen: „Es ist hilfreich, möglichst wenig zu denken“, findet Irene Fastner. Wichtig sei jedoch die Musik, die das Malen begleitet. Die Künstlerin stellt, mittlerweile in einer Mischung aus digitalen und analogen Verfahren, immer noch die guten alten „Mixtapes“ zusammen. Und so kann es etwa passieren, dass unversehens ein Eichhörnchen durchs Bild springt und mit einem kleinen Glöckchen läutet, während im Atelier die Kassette mit „Hells Bells“ läuft.

Die Menschen in den Bildern von Irene Fastner haben runde Mondgesichter, dünne Hälse und schmächtige Körper. Zwar erinnern ihre Strichfrisuren, ihre Nasen, Münder und Ohren, vor allem aber ihre großen Klimperaugen an Kinderzeichnungen, sie sind jedoch pointierte Psychogramme. Meist sind es Frauen, die in einem bezaubernden Kosmos der Merkwürdigkeiten höchst unterschiedliche Herausforderungen zu meistern haben. Mal wundern sie sich, wie der nackte Kerl in ihre Dusche kommt, mal kämpfen sie mit einem Baseballschläger, mit einem Gartenschlauch oder auch mit einem Kochlöffel in der Hand gegen die Unbill des Lebens. Sie sind tapfer und fürsorglich. Und sie mögen Tiere. Sie haben eine Katze auf dem Schoß, führen einen Hund an der Leine, tanzen mit einem Fuchs oder wiegen ein rosarotes Schweinchen wie ein Kind auf dem Arm. Sie sind Heldinnen des Alltags und freundliche Heilige, die nicht angebetet, sondern angelacht werden wollen.


Fred Filkorn, 2017: Text zu Arbeiten von Irene Fastner
Text zu Arbeiten von Irene Fastner

von Fred Filkorn

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Die farbenfrohen Bilder der Münchner Künstlerin Irene Fastner sind von der Naiven Malerei Lateinamerikas und Afrikas beeinflusst. Mit subtilem Humor strahlen sie selbstbewusste Frauenpower aus.

„Das Einfache spricht mich an“, bringt die Malerin Irene Fastner ihr Credo auf den Punkt. Figuren mit ­runden Köpfen, großen Augen, Nasen und Mündern, schmächtigen Oberkörpern und dünnen Hälsen. Sie könnten einem kunstvollen Comic oder Zeichentrickfilm entsprungen sein und erinnern in ihrer bunten ­Einfachheit an die Naive Malerei von Völkern, die man in Europa vormals als primitiv bezeichnete. Das Fremde, das man zunächst nicht einordnen kann, fasziniert Fastner. Deshalb ist ihre große ­Leidenschaft das Reisen, Lateinamerika und Afrika. Dabei ist es nicht das ­Offensichtliche, was sich in ihren Bildern manifestiert, sondern das Beiläufige, aus den Augenwinkeln ­Wahrgenommene.

Fastner pflegt einen instinktiven Ansatz beim Zeichnen. Ohne vorgefassten Plan oder Thema geht sie an ihre Bilder heran. Beginnt gegenstandslos mit Farben, ­Figuren und Geschichten kristallisieren sich erst während des Prozesses heraus. Beim Malen schaltet sie ab, das Unterbewusste und Unbewusste soll zum Vorschein kommen.

Fastner, die zunächst in Passau und München Kunst­geschichte und Volkskunde studiert hatte, landete schließlich doch noch an der Münchner Kunstakademie. Sie hatte den „Bewerbungszirkus“ gescheut und irgendwie hatte ihr auch das Selbstbewusstsein gefehlt. Fastner fühlt sich der Art Brut oder Outsider Kunst verbunden. Einem Stil, der sich der nicht-akademischen Malerei verpflichtet fühlt, wie sie etwa von Kindern, psychisch Kranken oder Angehörigen „primitiver“ ­Kulturen gepflegt wird. Kunst, die aus der Mitte einer ­Gemeinschaft entspringt, dort eine Funktion erfüllt, ­Bedeutung aus sich heraus besitzt. „Kunst, die gebraucht wird und eine Notwendigkeit hat“, meint Fastner.

Die diplomierte Künstlerin hört beim Malen immer ­Musik, sie lässt sich von ihr inspirieren. „Ich habe einen enormen Verschleiß an Musik“, verrät sie. Nach einer Woche im Dauerbetrieb kennt sie eine CD in- und auswendig. Deshalb hat sie angefangen, den „Nachtmix“ auf BR2 aufzunehmen und einen persönlichen Best-Of-Mix zusammenzustellen. Ganz Oldschool-mäßig auf ­Kassetten. In ihrer Zeit an der Kunstakademie war sie auch als DJane tätig. Bespielte die Studentenparties mit härterer Mucke. Alles was der Postpunk hergab.

Ihr Musikgeschmack ist schräg und individuell ­geblieben. Bunt gemischt von Indie-Rock über Weltmusik bis zu Elektro-Punk. Sie ist Fan der mittlerweile aufgelösten österreichischen „Neigungsgruppe Sex, Gewalt und Gute Laune“. Auch den Nino aus Wien und Voodoo Jürgens hört sie gerne.

Auf den Punk gekommen ist sie in jungen Jahren, bei einer Reise nach London. Ein Trip, der auch den ­Abnabelungsprozess vom Elternhaus und der konservativen Heimatregion beschleunigte. Mitte der ­Achtzigerjahre zog Fastner von Zwiesel nach München. Ihr Vater hatte religiöse Hinterglasbilder gesammelt. „Es hat einige Jahre gedauert, bis ich mich von den ­düster-gruseligen Madonnen-Motiven lösen ­konnte“, ­erinnert sie sich. Heute fertigt sie selbst Hinterglasbilder an, allerdings ganz ohne religiöse Sujets.

Fastner malt bevorzugt Frauen, gerne flippige, die in ihrem Stammbaum Pippi Langstrumpf oder auch das Tank Girl stehen haben könnten. Frauen mit einem Selbstbewusstsein, mit dem Fastner selbst in ihrer Jugend nicht ausgestattet wurde. Dass Künstlersein auch eine berufliche Option für eine Frau sein kann, lernte sie erst spät. Zu stark war ihr ein traditionelles Rollenbild vermittelt worden. Auf ihren farben­frohen Acryl- und Ölbildern „sollen Frauen mutig und stark erscheinen“. Mit dem Geburtsjahr 1963 gehört Fastner einer Generation an, die ihre Gleichberechtigung noch erkämpfen musste. Als sie während des Kunst­studiums in die Otto Galerie eingeladen wurde und auf einen Schlag alle Bilder verkaufen konnte, ­realisierte sie, dass die Künstlerexistenz ein echtes Auskommen bescheren kann.

Neben den lebenslustigen Frauen tauchen in ihren Bildern auch gerne Tiere auf, Hunde, Vögel, ­Eichhörnchen. Und das so beiläufig, als hätten sie sich zufällig im Bild verlaufen. Was ihren Gemälden einen angenehmen Humor verpasst. Fastner lässt sich davon beeinflussen, was um sie herum geschieht. Seien es kämpfende rote und schwarze Eichhörnchen, die sich vor dem Küchenfenster im Münchner Westend das Revier streitig machen. Oder unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, die auf dem Gelände des Kreativ­quartiers an der Dachauer Straße untergebracht waren. Hier steht auch das Atelierhaus, das sich Fastner mit 21 anderen ­Künstlern teilt.

Sogar eine auf dem Flohmarkt gefundene Urkunde, die sie wegen des Rahmens gekauft hatte, kann sie ­inspirieren. Die gelben Vögel auf dem skurrilen Hobby-Diplom eines Kanarienzüchtervereins finden sich später auf ihrer eigenen Zeichnung wieder. Irene Fastner ist ein Medium, das aufnimmt und ­künstlerisch verarbeitet, was in ihrer Umwelt passiert. „Ich muss das einfach machen“, erklärt sie ihr Bedürfnis ­Künstlerin zu sein.


Ines Kohl, 2012: Madonna und Kannibalin
Madonna und Kannibalin

von Ines Kohl

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„Meine Frauen: Sie sind Alter Egos und Selbstporträts. Sie entspringen meinen Befindlichkeiten, meinen Wunschvorstellungen und meinen Beobachtungen. Mutig, selbstbewusst, traurig und lustig, manchmal ­einsam und arm, aber meist sich selbst genügend, gehen sie durchs Leben. Sie werden oft von Tieren ­begleitet, weil, wie die Malerin Maria Lassnig schreibt: “Ein Mensch und ein Tier ergeben zusammen eine Mythologie.“ (Irene Fastner)

Das Bild der Frau ist die Frau im Bild. Die Malerin Irene Fastner ist nicht „frauenbewegt“; wiewohl ihre Malerei subjektive feministische und sozialkritische Aspekte beinhaltet. Warum fast nur Frauen auf ihren Bildern herumstehen oder agieren, hat vielleicht damit zu tun, dass die Welt der Frauen der Künstlerin, die in einer ländlichen, nicht gerade mit Reichtum gesegneten Region im Bayerischen Wald aufwuchs, vielseitiger und interessanter erschien und wohl auch näher lag als die der Männer, die die meiste Zeit außer Haus verbringen, bei der Arbeit wie in der Freizeit. Die Welt dieser Frauen ist äußerst abwechslungsreich, das liegt in der Natur der Sache. Sind sie im Haus, verrichten sie alle anfallenden Arbeiten, sie waschen, putzen, schlachten und kümmern sich ums liebe Vieh. Sie sind engagiert in vielen Bereichen, sind fürsorgliches Familientier oder Vamp, „Madonna“ oder „Kannibalin“.

Gehen sie außer Haus, oft mit Hund, dann putzen sie sich heraus und machen Schaulaufen in der Welt, weniger für andere als vielmehr für sich selbst. Sie stehen allein ihren „Mann“, der als Figur überflüssig, allenfalls eine Randerscheinung ist. Irene Fastner beschränkt sich allerdings nicht auf das engere Umfeld. Immer wieder zieht es sie in die Ferne, in die USA und nach Süd-Afrika, auf die Kapverden, nach Panama, Schottland, Irland und in die Osttürkei. Von dort bringt sie neue Bilder mit, andere Frauen aus anderen ­Kulturen, aber weltweit eigentlich mit den gleichen Träumen und Problemen, umgeben von den Absonder­lichkeiten und den liebenswerten Kleinigkeiten des ganz normalen Alltags. Sie glühen in leuchtenden, manchmal fast giftigen Farben, stehen frontal und fixieren ihr Gegenüber. Bei der Arbeit fixieren sie natürlich auch die Malerin, die sich hier vielleicht selbst in die Augen blickt, kritisch, aber liebevoll, mit viel Sinn für die feinen Nuancen und den versteckten Witz mancher komischen Situation.

Der auf den ersten Blick naiv anmutende Zugang zum Bild entpuppt sich als doppelter Kunstgriff: komplex strukturierte Malerei wird hinter einer fast plakativen Geschichte versteckt. Die Figuren und Dinge sind die Oberfläche des Bildes, auf der als Lockmittel für den Betrachter eine Geschichte erzählt wird; dahinter und darunter liegt das, worum es eigentlich geht, die Malerei, die in einem langen Arbeitsprozess sorgfältig aufgebaut wird, mit subtilem Farbgefühl. Musik kann bei der Arbeit beflügelnd wirken, die Malerin lässt sich gerne von Rhythmen tragen. Irene Fastner geht nicht mit einem vorgefassten Motiv oder einer festgelegten Szene an ein Bild heran. Eine Zeichnung im klassischen Sinn gibt es nicht. Zeichnung und Farbe sind hier gleichwertig, die Figuren entwickeln sich aus abstrakten Farbkompositionen, die ihre Wertigkeit und Form durch die graphischen Elemente zugewiesen bekommen. Der Betrachter kommt in den Genuss einer fein differenzierten Malerei, in der die Komplementärfarben zum Schwelgen kommen, manchmal sich aneinander reiben, dass es knistert. Zugleich dienen die Farbfelder dazu, den graphischen Elementen die Vorgabe zu liefern, nach der die figürliche, erzählerische Komponente gegliedert wird.

Nach und nach entwickeln sich Schwerpunkte, Farbfelder und -Flächen, die gegeneinander abgegrenzt werden, bis sie sich zu Gesichtern, zu Körpern wandeln, Tiere, Autos, Blumen und Mobiliar entstehen. Die Szenerie setzt sich aus einem Kaleidoskop von spontanen Einfällen zusammen, aus denen die hinter­gründigen Geschichten hervorgehen, nicht selten mit surrealen Einsprengseln aus der persönlichen Erlebnis­welt versetzt. Manchmal bleiben – Relikt der malerischen Geste – freie, mit großzügigem Pinselstrich bedeckte Flächen stehen, auf denen nichts stattfindet außer reiner Malerei. Die Farbe hat großen Stellenwert, ist stark und klar. Sie macht die Stimmung der Bilder aus, wie die Expressionisten nutzt Irene Fastner die psychologischen Qualitäten der Farben, um emotionale Befindlichkeiten zu kennzeichnen. Mit großen Köpfen und flächigen Gesichtern, mit dünnen Armen und staksigen Beinen stehen die Figuren dominant und unverrückbar im Bild. Ein fast hypnotisierendes Element ist die proportional zu hoch, im oberen Viertel des Gesichts liegende, schmale Augenpartie, mit der die naive Anmutung subversiv unterlaufen wird.

Nichts in der Welt könnte diese Frauen von der Stelle bewegen, sie verweisen auf sich selbst als auf das Zentrum der Welt, ihrer Welt. Es sind ganz alltägliche Frauen in ganz alltäglichen Situationen. Oft sind sie in Begleitung von Hunden oder Katzen; Körperhaltung, Kleidung und Accessoires kennzeichnen die Persönlichkeit, ihre Größe hängt von der Bedeutung ab, die das Individuum ihnen gibt.

Es müssen vor allem die Farben gewesen sein, die Irene Fastner mit auf den Weg genommen hat, als sie zum Studium nach München ging, wo es sie wiederum in die Klasse eines eigenwilligen Malers zog, zu Helmut Sturm, der aus Furth i. Wald in der Oberpfalz stammte.

Sechs Jahre war Irene Fastner Studentin, dann Meisterschülerin bei Helmut Sturm, der die legendäre Münchner Gruppe SPUR mitbegründet hat, die für die Bayerische Kunstgeschichte nach dem Krieg bedeutend wurde. Damals hätte man seine Malerei auch „wild“ nennen können, heute sieht man in ihr ­gepflegte, dialektisch strukturierte gestische Farbabläufe, die hohen ästhetischen Genuss bereiten. Sind Irene Fastners frühen Bildern diese Wurzeln noch anzusehen, so hat sie zügig und zielgerichtet ihre ­spezielle Taktik der Malerei als Vorwand für die pointierte Darstellung ihrer Sicht der Frauenwelt ­ent­wickelt. Man kann die Entwicklung von Figur aus Farbflächen, Flecken und Krakelüren nachvollziehen, bald schon tauchen kleine, freundliche Details im Bild auf und die typischen, schmalen Augen werden früh schon angelegt.

Die graphische Gliederung und die leuchtenden Farben mögen ein Relikt aus der Kindheit sein. Der Vater der Künstlerin hatte eine große Sammlung von Hinterglasbildern, das Kind war davon umgeben. Umgeben und, wie sie es heute sieht, fast erdrückt von dieser Sammelleidenschaft, wuchs Irene Fastner in Zwiesel mit der Volkskunst des Bayerischen Waldes auf. Doch es wäre allzu einfach, ihre Malerei allein auf diese Wurzeln zu reduzieren. Aus den festgelegten Typen des Kanons der bayerischen Hinterglasmalerei entwickelte sie ihre individuellen Figuren, verbunden mit einem spielerischen Sinn für Situationskomik.

Auf den Hinterglasbildern, an denen sie seit einiger Zeit, vor allem im Winter arbeitet, verstärkt sich die Farbwirkung, Glitter und Flitter setzen Akzente vergleichbar den früher üblichen Verspiegelungen des Bildgrundes, wofür die Malerin bis heute eine kindliche Begeisterung behalten hat. Zugleich liegt bei der Hinterglasmalerei die Betonung auf den graphischen Elementen. Irene Fastner greift den klassischen Bildaufbau auf, mit der Umrandung des Motivs durch florale und ornamentale Elemente, die Themen aber sind der heutigen Zeit entnommen, kritische, auch schräge Motive werden auf nette Weise, hübsch frech und ironisch serviert. Die Hinterglasmalerei ist eine typische Winterarbeit. Sie braucht Zeit, aber nicht viel Platz. Anders als bei der Malerei mit Öl, Acryl oder mit Ölkreiden muss man aber komplett umdenken. Noch etwas ist hier für die Malerin wichtig und nimmt ihr manchmal eine schwierige Entscheidung ab. Während man mit der herkömmlichen Technik letztlich endlos weitermalen kann, ist ein Hinterglasbild an einem bestimmten Punkt einfach fertig, man kann dann nichts mehr ändern. Und was „versaut“ ist, ist unab­änderlich versaut.

Irene Fastner verknüpft auch hier verschiedene Bildebenen miteinander. Einerseits ist die Figur eingebunden in den Grund, andererseits scheint sie manchmal davor zu schweben. Die Einfälle fügen sich zu Bildern, die nicht von Logik bestimmt sind, sondern von einem großen Assoziationspool, den die Malerin ­unsortiert zulässt, sowie von der eigenen Stimmungslage. Die Erwähnung der österreichischen Malerin Maria Lassnig im Eingangszitat sagt einiges über ihre Arbeit, weist auf Unabhängigkeit und Selbst­befragung der Künstlerin hin.

Der Reiz von Irene Fastners Bildern liegt darin, wie pure Malerei mit einem Bildpersonal verknüpft wird, das nur vordergründig naive Geschichten erzählt, damit aber beim Betrachter Assoziationsketten in Gang setzt, die ihn auf Reisen in seine eigene Erlebniswelt schicken. Und nicht zuletzt haben die Geschichten auf den Bildern viel mit ihr selbst zu tun.


Jens Martin Neumann, 2004: Ein individueller Weg zu einer neuen Figuration
Ein individueller Weg zu einer neuen Figuration

von Jens Martin Neumann

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Eine Künstlerin, die im Bild um die Figur ringt; eine Malerin, die ihren Materialien eine Figürlichkeit abtrotzt, die einer künstlerischen Realität und nicht der Betrachtung der Wirklichkeit entstammt; eine Schülerin Helmut Sturms, des ehemaligen Mitglieds der Gruppe „Spur“: Irene Fastner.

Irene Fastner hat eine eigensinnige figürliche Malerei entwickelt, in deren Mittelpunkt buchstäblich die monumentale, urtümlich kraftvolle Figur steht. Im Verzicht auf jedes dynamische Bewegungsmotiv, alle ­gestischen oder mimischen Pathosformeln und vor allem in der Unbewegtheit der scheinbar ausdruckslosen Gesichter verfolgt sie eine stille Kunst des eingefrorenen Moments. Meist über die gesamte Bildhöhe aufgespannte, überwiegend en face dargestellte, schematisierte Frauen, Männer, Kinder und Tiere sind ­statuarisch ruhig – inmitten oder seitlich – einer kürzelhaft bezeichneten räumlichen Umgebung verankert, die sich als ornamentaler Teppich oder changierende Farbfolie über die Bildfläche entfaltet. Stark ­vereinfacht, plakativ überzeichnet und in gesucht auffälligem Missverhältnis tragen die schmächtigen Figurenleiber auf den dünnen Stielen ihres Halses großflächige kantige Kopfblöcke oder runde Gesichtsscheiben, lassen dürre Arme hängen, stecken kleine Hände in Kitteltaschen oder halten wie auf klassischen Portraits sonderbare Attribute, die sich auch zu bildbeherrschenden Hauptmotiven auswachsen können. Details wie Rock, Haare, Augen oder Nase stilisieren zu reinen Farbflächen oder grafischen Lineaturen, und auch die Frontalität der Figuren beweist sich als Mittel koloristischer Flächigkeit.

Irene Fastner trennt sich unbefangen von der menschlichen Gestalt. In der Art von Kinderzeichnungen ordnet sie die Bildelemente ganz nach ihrer differierenden Wertigkeit und verknüpfenden Beziehung an, also entsprechend den Erfordernissen von leichter Lesbarkeit und nicht etwa naturalistischer Proportion, räumlicher Verhältnisse oder malerischer Illusion. Die Komposition gründet ausschließlich im Interesse der Künstlerin an den Dingen. Die Folgen sind: rigoros vorherrschende Bedeutungsperspektive, inhaltlich angeregte, aber malerisch motivierte Farbanalogien und Formentsprechungen, sowie chiffrenhaft summarische Gestaltfindung. Dieser kunstimmanente Ansatz setzt inhaltlichen Deutungen enge Grenzen: Ein dunkles Gesicht ist primär eine bräunliche Farbfläche, nicht automatisch Signatur farbiger Menschen; die häufig auftretenden Frauenfiguren bieten Anlass für malerische Details in ihrer Kleidung, weit weniger für Definitionen weiblicher Rollenmuster.

Die bewusste Einfachheit der Darstellung, diese authentische Kindlichkeit in der stilistischen Haltung, der gewisse Primitivismus koloristischer Verflächigung und linearer Konturierung sowie die freie Strichsetzung führen zu knapp formulierten, höchst vitalen Figurenbildungen, die bei Irene Fastner immer Inhalt und freie Malerei in einem sind. Zwar bleibt eine abstrahierte Figürlichkeit erhalten, da Pinselstriche und Farbflecken noch dingliche Funktion besitzen, trotzdem verhilft die Künstlerin der Farbe mit heftig eingesetzten Bildmitteln – starkem Kolorit, handschriftlichem Duktus und groben Strukturen – zu eindrücklicher Wirkung. Der Malakt bleibt in sichtbaren Spuren anwesend, verleiht der Farbe eigenständige Qualität und substanzielle Stofflichkeit. Die Malerin trägt das Farbmaterial voller Klumpen, Verwerfungen und Grate auf, durchfurcht mit dem Pinsel die aufgeworfene Farbpaste, wechselt von spontaner schlanker Gebärde zu schwerer krustiger Farbgeste, schreibt graphische Kritzeleien in die Farbhaut hinein – kurz: Die malerische Erzählung entfaltet sich in kräftigen Farben und in ruppiger Handschrift über die Bildoberfläche, Malmotorik und Bildprozess bilden eine untrennbare Einheit.

Letztlich auch ein kluger zeitgenössischer Kommentar zu einer altehrwürdigen Gattung, erzählt jedes Bild Irene Fastners als eine Art „Portrait“ eine einfache Geschichte, die von ganz normalen Menschen in alltäglichen Situationen handelt. Diese Geschichten beruhen zwar auf persönlichen Erlebnissen, Erfahrungen und Reiseeindrücken, aktualisieren sich aber spontan im Malprozess, finden erst dann eine offene Form des Berichtens. Irene Fastners Galerie trivialer, aber eben allgemeingültiger Durchschnittstypen bezeichnet die Suche nach malerischen Entsprechungen für unsere Vorstellungen von Person, Charakter, Tätigkeit und Lebensdesign. Die Künstlerin stellt sich naiv, nimmt solche populären Vorstellungen gleichsam wörtlich und setzt sie direkt ins Bild. Sie spürt in malerischen Andeutungen von geblümten Tapeten, kleinen runden Tischen, Blumensträußen, aber auch merkwürdigen Haustieren, Handtaschen oder Mobiltelefonen der sozialen Atmosphäre nach, deckt Klischees auf, um sich gleich wieder davon zu distanzieren. Ihre Malweise ist von Einfühlung in die dargestellten Protagonisten geprägt, wechselt je nach Motiv Stillage und Malmodus. Die Bilder sind dabei optimistisch und hoffnungsvoll, denn fest stehend und zu blockhafter Form verfestigt können sich die Figuren in ihrem Lebensraum – sei es auch im Wahn eines Traumes oder in der Fragwürdigkeit eines kleinbürgerlichen Ambientes – stoisch behaupten. Die Kunst ist hier allerdings kein abgeschlossenes Konzentrat, sondern bleibt offen. Die angefangenen Geschichten werden an uns Betrachter weitergegeben, und wir müssen sie uns selbst zu Ende erzählen.

Frei von falschem intellektuellem Kalkül und direkt wirksam im malerischen Ausdruck, schafft Irene Fastner Werke von lapidarer Kraft und elementarer Wucht. Sie vertritt eine individuelle „Rohe Kunst“, geprägt von allgemein zugänglichen Bildformen, in denen traditionelle Gegenständlichkeit hinter rätsel­haften Zeichen für Menschen versinkt. Die Malerin erneuert die figurative Kunst durch den Rückgang auf Ursprünglichkeit, Primitivismus und Authentizität.


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